Im Jahr 2008 wurden im Rahmen der TIES-Studie Vorarlberg 750 junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 35 Jahren befragt. Alle Befragten waren in Österreich geboren. Allerdings hatten ihre Eltern unterschiedliche Geburtsländer – sie stammten aus Österreich, dem ehem. Jugoslawien und der Türkei. Dadurch war es bei der TIES-Studie Vorarlberg möglich, Unterschiede zwischen jungen Vorarlberger/innen ohne Migrationshintergrund, der zweiten Generation mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien und der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei zu untersuchen (Details zur TIES-Studie finden Sie hier).
Religiös aufgewachsen: Ja oder Nein
Eine Gemeinsamkeit der jungen Erwachsenen mit Eltern aus Österreich, der Türkei und dem ehem. Jugoslawien, die 2008 befragt wurden, war, dass alle drei Befragtengruppen mehrheitlich religiös aufgewachsen sind. Die Befragten ohne Migrationshintergrund wurden zu 95 % katholisch erzogen. Die zweite Generation mit Eltern aus dem ehem. Jugoslawien wurde ebenfalls zum größten Teil christlich erzogen (zu 52 % orthodox und zu 37 % katholisch). Die zweite Generation türkischer Herkunft wurde zum überwiegenden Teil (98 %) muslimisch erzogen (zu 80 % muslimisch sunnitisch und zum geringeren Teil muslimisch alevitisch oder in einer anderen muslimischen Glaubensrichtung).
Befragt nach dem aktuellen Stand in dieser Frage („Sind Sie zurzeit religiös?“)
beschrieb sich die Gruppe der zweiten Generation Türkei-Stämmiger im jungen Erwachsenenalter weitaus am häufigsten als religiös. Von den Befragten ohne Migrationshintergrund bzw. mit Eltern aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens beschrieb sich zum Befragungszeitpunkt hingegen ein beträchtlicher Teil als nicht mehr religiös. Im Detail: Fast 90 % der Befragten der zweiten Generation türkischer Herkunft gaben an, zum Befragungszeitpunkt religiös zu sein, während dies bei den Befragten ohne Migrationshintergrund und jenen der zweiten Generation aus dem ehem. Jugoslawien jeweils ca. 50 % waren. Ein großer Teil der Personen ohne Migrationshintergrund und jener der zweiten Generation mit Eltern aus dem ehem. Jugoslawien verlor offensichtlich im Laufe der Jugend ihren Bezug zur Religion, während das bei den Befragten mit Eltern aus der Türkei nicht der Fall war.
Exkurs:
Dass muslimischen Zugewanderten in der Generationenfolge ihre Religion wichtig bleibt, ist kein Spezifikum Vorarlbergs. Auch eine Befragung unter Türkei-Stämmigen in Deutschland im Jahr 2016 zeigt, dass Religion bzw. religiöse Praxis für die zweite und dritte Generation wichtig sind. Interessanter ist, dass sich die zweite und dritte Generation etwas häufiger als religiös einschätzt als die erste Generation; gleichzeitig besucht die zweite und die dritte Generation weniger regelmäßig die Moschee und beten seltener als die erste Generation.
Quelle: Pollack, D. et al. (2016): Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland. Repräsentative Erhebung von TNS Emnid im Auftrag des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster, Download hier.
Wie äußert sich diese Religiosität junger Vorarlberger/innen im Alltag?
Für türkei-stämmige Musliminnen und Muslime, die sich in der TIES-Studie Vorarlberg als religiös bezeichnet haben, hatten im Alltag die Einhaltung islamischer Speisegebote (Halal) und das islamische Fastengebot (im Fastenmonat Ramadan) eine größere Bedeutung als das tägliche Gebet (Namaz) und der regelmäßige Moscheebesuch.
Grafik 1: Religionsausübung muslimischer Befragter mit Eltern aus der Türkei, die sich um Befragungszeitpunkt (2008) als religiös bezeichneten
In der religiösen Praxis der christlichen Befragten, die sich als religiös bezeichneten, war es in etwa umgekehrt: Der Besuch des Gottesdienstes und das Gebet hatten für sie eine vergleichsweise höhere Bedeutung als das religiöse Fasten (sowohl bei christlichen Gläubigen ohne Migrationshintergrund als auch bei christlichen Gläubigen mit Eltern aus dem ehem. Jugoslawien).
Grafik 2: Religionsausübung christlicher Befragter mit Eltern aus Österreich bzw. dem ehem. Jugoslawien, die sich um Befragungszeitpunkt (2008) als religiös bezeichneten
Wie stark fühlen sich junge Vorarlberger/innen mit ihrer Religionsgemeinschaft verbunden
Die Identifikation mit der Religionsgemeinschaft ist in religionssoziologischen Untersuchungen eine wichtige Dimension von Religiosität, wenngleich sie nichts über die tatsächliche religiöse Praxis aussagt. In der TIES-Studie wurden junge Vorarlberger/innen, die sich als religiös bezeichnen u.a. danach gefragt, wie wichtig es ihnen ist ein Christ/eine Christin bzw. ein Muslim/eine Muslimin zu sein. Religiösen Türkei-Stämmigen war die Identifikation mit der eigenen Religionsgemeinschaft deutlich wichtiger (89 %) als religiösen Personen mit Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien (59 %) bzw. aus Österreich (45 %). Sie stimmten auch häufiger der Aussage zu, oft über die Tatsache nachzudenken, Muslim/in zu sein. Sie sahen sich zudem häufiger selbst als „echte“ Vertreter/innen ihrer Religionsgemeinschaft als Gläubige mit Eltern anderer Herkunft. Gläubige Christ/innen ohne Migrationshintergrund bzw. aus dem ehem. Jugoslawien maßen den beiden letztgenannten Aspekten weniger Bedeutung zu; ihre Antworten zu diesen Aussagen unterschieden sich nur wenig.
Ein interessanter Unterschied zwischen gläubigen Christen mit Eltern aus dem ehem. Jugoslawien und mit Eltern aus Österreich zeigt sich allerdings, wenn danach gefragt wird, ob es den/die Befragte/n verletzt, wenn schlecht über Christ/innen gesprochen wird. Religiöse Befragte mit Bezug zum ehem. Jugoslawien fühlten sich dadurch doppelt so häufig verletzt (52 %) wie religiöse Befragte ohne Migrationshintergrund (25 %). Religiöse Türkei-Stämmige fühlten sich mit einer überwiegenden Mehrheit davon verletzt, wenn schlecht über Muslim/innen gesprochen wird (79 %).
Das Verhältnis von Religion und Gesellschaft bzw. Religion und Staat
Bei den Fragen zum Verhältnis von Religion und Gesellschaft bzw. Religion und Staat gab es keine großen Unterschiede zwischen den drei Befragungsgruppen. In allen drei Gruppen dominieren in einem hohen Ausmaß säkulare und laizistische Positionen. Dennoch fällt auf, dass türkeistämmige Vorarlberger/innen Aussagen, die der Religion einen stärkere bzw. starke Rolle in der Politik zusprechen, häufiger zustimmten, als das bei Befragten ohne Migrationshintergrund der Fall war. So meinten etwa 19 % der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei, dass Religion in Politik und Gesellschaft präsent sein sollte und 10 %, dass Religion die einzige politische Autorität sein sollte – im Vergleich zu 10 % bzw. 2 % der Vorarlberger/innen ohne Migrationshintergrund. Die Position der jungen Erwachsenen mit Eltern aus dem ehem. Jugoslawien lag zwischen den Positionen der anderen beiden Befragungsgruppen.
Quelle: Grabherr, E., Burtscher-Mathis, S. (2012): Zweiheimisch als Normalität – zu identitären und kulturellen Dimensionen der Integration der 2. Generation in Vorarlberg, Papier 3, TIES-Vorarlberg.
Relevante Abschnitte:
- Abschnitt 3: Verbundenheit mit der Religionsgemeinschaft, in die man geboren wurde (S. 13 - 15)
- Abschnitt 7: Religiosität und gesellschaftliche Rolle von Religion (S. 26 – 34)
Download hier.