Erkenntnisse zu Integrationsprozessen in Vorarlberg

 

TIES steht für „The Integration oft the European Second-Generation“ und war ein internationales Forschungsprojekt zur Integration der Zweiten Generation von Zuwanderern, das auch in Vorarlberg (kurz: „TIES-Vorarlberg“) durchgeführt wurde. Die Datenerhebung von TIES-Vorarlberg fand 2008 statt.

Bei TIES-Vorarlberg wurden 750 junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 35 Jahren befragte. Alle Befragten waren in Österreich geboren. Allerdings hatten ihre Eltern unterschiedliche Geburtsländer – sie stammten aus Österreich, Ex-Jugoslawien und der Türkei. Dadurch war es bei TIES-Vorarlberg möglich, Unterschiede zwischen jungen VorarlbergerInnen ohne Migrationshintergrund, der zweiten Generation mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien und der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei zu untersuchen und diese mit den TIES-Ergebnissen österreichischer und europäischer Städte zu vergleichen.

In der TIES-Befragung wurden umfangreiche Informationen zu den Themen Bildung und Ausbildung, Erfahrungen am Arbeitsmarkt, soziale Beziehungen (Partnerschaft, Eltern, Freundschaften), Wohnen und Nachbarschaft, Identität und Religion sowie politische Partizipation erhoben.

 

Die Befragungsergebnisse aus Vorarlberg wurden in sechs Papieren veröffentlicht:
 

  • Papier 1: Beschreibung der Studie, der Befragungsgruppen und soziostruktureller Merkmale der Elterngeneration
  • Papier 2: Bildungsverläufe und Bildungsabschlüsse im Gruppenvergleich und ihre Bedeutung im internationalen Kontext
  • Papier 3: Zweiheimisch als Normalität – zu identitären und kulturellen Dimensionen der Integration der 2. Generation in Vorarlberg
  • Papier 4: Arbeitsmarktpositionen im Gruppenvergleich und ihre Bedeutung im internationalen Kontext
  • Papier 5: Geschlechterrollenbilder bei der zweiten Generation und bei Personen ohne Migrationshintergrund in Vorarlberg
  • Papier 6: Soziale Beziehungen, Diskriminierungserfahrungen und ihre Bedeutung im internationalen Kontext

 

Untenstehend finden Sie kurze Beschreibungen der Papiere. Die Papiere stehen in der rechten Spalte zum Download zur Verfügung.


Papier 1: Beschreibung der Studie, der Befragungsgruppen und soziostruktureller Merkmale der Elterngeneration

AutorInnen: Simon Burtscher-Mathis/Nina Formanek

Dieses Papier beschreibt detailliert die Auswahl der Befragten und die Organisation der Befragung. Zudem nimmt das Papier die Eltern der Befragten (also die erste Generation mit Bezug zu Ex-Jugoslawien und der Türkei) in den Blick: Die Gründe für ihre Migration nach Österreich, ihre Arbeitserfahrung im Herkunftsland und in Österreich, ihre Bildung und ihre Sprachkenntnisse werden untersucht.

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die erste Generation zugewanderter „GastarbeiterInnen“ aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien mit deutlich unterschiedlichen Bildungsbiographien nach Österreich kamen. So hatten Zugewanderte aus dem ehemaligen Jugoslawien höhere Bildungsabschlüsse als die Gruppe aus der Türkei. Das sind keine neuen Erkenntnisse; mit der TIES-Studie sind sie jedoch empirisch belegbar und können in aller Deutlichkeit wahrgenommen werden. Auch meldet die zweite Generation mit Eltern aus der Türkei für ihre Eltern schlechtere Sprachkenntnisse im Deutschen zurück als die Gruppe mit Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Diese familiären Rahmenbedingungen sind bedeutsam für den Integrationsprozess der zweiten Generation, die in den Papieren 2 und 3 beschrieben sind.

 

Papier 2: Bildungsverläufe und Bildungsabschlüsse im Gruppenvergleich und ihre Bedeutung im internationalen Kontext

Autor: Simon Burtscher-Mathis

Dieses Papier vergleicht die Bildungsverläufe junger VorarlbergerInnen ohne Migrationshintergrund, der zweiten Generation mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien und der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei. Einerseits werden die besuchten Schultypen und höchsten Bildungsabschlüsse beschrieben; andererseits werden förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen zu Hause und in der Schule sowie der Zugang zu Lernunterstützung untersucht.

Die Ergebnisse von TIES-Vorarlberg zeigen, dass die zweite Generation mit Bezug zur Türkei deutlich niedrige Bildungsabschlüsse als Personen ohne Migrationshintergrund aber auch als die zweite Generation mit Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien erreicht. Befragte mit Migrationshintergrund besuchen im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund nach der Volksschule weniger häufig die AHS-Unterstufe, wiederholen in der Sekundarstufe I häufiger Klassen und besuchen anschließend an die 8. Schulstufe seltener eine Schulform, die zur Matura führt. Auch die Unterstützungsformen (durch die Eltern, privat organisierte Nachhilfe oder Förderunterricht in der Schule) auf die zurückgegriffen wird bzw. werden kann, unterscheiden sich zwischen den drei untersuchten Gruppen und spiegeln sich in den Bildungsverläufen der Befragten wider.

Eine „Vererbung von Bildung“ findet zwar auch in anderen Ländern statt; zeigt sich in Vorarlberg wie in Österreich aber besonders stark. Das österreichische Bildungssystem schaffte es somit kaum, schlechtere Startbedingungen - die insbesondere MigrantInnen und ihre Nachkommen betreffen - auszugleichen.

 

Papier 3: Zweiheimisch als Normalität – zu identitären und kulturellen Dimensionen der Integration der 2. Generation in Vorarlberg

AutorInnen: Eva Grabherr/Simon Burscher-Mathis

In diesem Papier stehen die Zugehörigkeitsgefühle der Befragten zu Vorarlberg, Österreich, Europa sowie dem Herkunftsland der Eltern, direkte Bezüge zum Herkunftsland der Eltern, die Verbundenheit mit Religionsgemeinschaften, religiöse Praktiken, Sprachkompetenzen, die Verwendung von Sprachen bei Mehrsprachigen und „interethnische“ Beziehungen im Mittelpunkt. 

Wie der Titel des Papiers schon andeutet, machen die Ergebnisse von TIES-Vorarlberg deutlich, dass es für die zweite Generation kein Widerspruch ist, sich zu Vorarlberg bzw. Österreich und dem Herkunftsland der Eltern zugehörig zu fühlen. Der Vergleich mit internationalen TIES-Ergebnissen zeigt aber auch, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen mitbestimmen, wie stark solche Zugehörigkeitsgefühle ausgeprägt sind.

Weiters entwickelt sich Deutsch zu „starken“ Sprache der zweiten Generation, die in den meisten Sphären – also auch im Privaten – gesprochen wird. Gleichzeitig nehmen Kompetenzen in den Herkunftssprachen der Eltern ab. Dennoch bleibt die „eigene“ ethnische Gruppe für die zweite Generation genauso wie für Personen ohne Migrationshintergrund ein wichtiges soziales Netzwerk.

Unterschiede zwischen Personen ohne Migrationshintergrund und den beiden Befragtengruppen der zweiten Generation zeigen sich allerdings im Bezug auf Religion und Religiosität: Wenngleich alle drei Gruppen überwiegend religiös aufgewachsen sind, ist bei Personen ohne Migrationshintergrund und bei Personen mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien im Erwachsenenalter eine starke Säkularisierung zu beobachten; bei der türkischstämmigen zweiten Generation hingegen kaum. Bei den Fragen zum Verhältnis von Religion und Gesellschaft bzw. Religion und Staat dominieren hingegen in allen drei Gruppen in einem hohen Ausmaß säkulare und laizistische Positionen.

 

Papier 4: Arbeitsmarktpositionen im Gruppenvergleich und ihre Bedeutung im internationalen Kontext

Autor: Simon Burscher-Mathis

Die Positionierung am Arbeitsmarkt gilt als wichtiger Indikator für die strukturelle Integration. Dieses Papier untersucht die Positionierung der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei und zu Exjugoslawien am Arbeitsmarkt und vergleicht diese mit der Positionierung von jungen Erwachsenen ohne Migrationshintergrund. Auch der Verlauf von Erwerbskarrieren unter Berücksichtigung der Bildungsabschlüsse der Befragten sowie Diskriminierungserfahrungen werden in diesem Papier analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass die zweite Generation in Vorarlberg gut in den Arbeitsmarkt integriert ist. Die Positionierung am Arbeitsmarkt unterscheidet sich bei den drei untersuchten Gruppen (Personen mit Bezug zu Exjugoslawien, Personen mit Bezug zur Türkei und Personen ohne Migrationshintergrund) allerdings maßgeblich, was sich größtenteils durch die erreichten Bildungsabschlüsse erklären lässt. Auch beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zeigen sich Unterschiede bei den drei untersuchten Gruppen, die mit den Bildungsabschlüssen der Befragten in Zusammenhang stehen: Personen ohne Migrationshintergrund finden ihre erste Anstellung nach der Ausbildung deutlich schneller als die zweite Generation.

Betreffend Ausgrenzungserfahrungen ist festzuhalten, dass Personen der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei sich wesentlich häufiger unter ihrem Niveau beschäftigt fühlen, als Personen mit Bezug zu Exjugoslawien und Personen ohne Migrationshintergrund. Im Vergleich zu gleich qualifizierten Personen ohne Migrationshintergrund empfinden es auch speziell Personen der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei als schwieriger, eine gute Arbeitsstelle zu finden. Von Anfeindungen bei der Arbeitssuche und am Arbeitsplatz berichtet allerdings nur eine Minderheit der Befragten.

 

Papier 5: Geschlechterrollenbilder bei der zweiten Generation und bei Personen ohne Migrationshintergrund in Vorarlberg

AutorInnen: Caroline Manahl, Eva Grabherr und Simon Burtscher-Mathis

Wie denken Menschen über Geschlechterverhältnisse und wie leben sie diese? Diese Frage begleitetet in den letzten Jahrzehnten die Modernisierung und Liberalisierung vieler europäischer Gesellschaften und waren Gegenstand heftiger Debatten. Mittlerweile sind sie auch Teil der Debatte über Zuwanderung und Integration. Welches Rollenbild bringen ZuwanderInnen aus ihren Herkunftsländern mit und wie beeinflusst das die strukturelle Integration sowie das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft? Und welche Veränderungen lassen sich im Verlauf von Integrationsprozessen feststellen?

Bei TIES-Vorarlberg wurden Geschlechterrollenbilder, gelebte Geschlechterrollen, Vorstellungen zu Hierarchien zwischen den Geschlechtern und Keuschheitsvorstellungen der zweiten Generation mit Bezug zu Exjugoslawien und mit Bezug zur Türkei erhoben und können mit den Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen ohne Migrationshintergrund verglichen werden.
 
Die Ergebnisse von TIES-Vorarlberg zeigen ein komplexes Bild: Bei Einstellungen zu Geschlechterrollen und bei gelebten Geschlechterrollen gibt es Unterschiede zwischen den drei untersuchten Gruppen (ohne Migrationshintergrund, zweite Generation mit Bezug zu Exjugoslawien und zweite Generation mit Bezug zur Türkei). Es gibt aber vor allem auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die teils größer sind, als die Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Vorstellungen zu Hierarchien zwischen Männer und Frauen werden von Befragten aller drei Gruppen stark abgelehnt. Ein nicht unwesentlicher Teil der Männern der zweiten Generation zeigt sich diesbezüglich aber auch unentschieden bzw. unterstützt hierarchische Vorstellungen. Keuschheit vor der Ehe ist bei der zweiten Generation mit Bezug zur Türkei ein stark verankertes Ideal. Dieses Ideal betrifft das Verhalten von Männern und Frauen; Frauen aber tendenziell stärker.

Bei den hier beschriebenen Ergebnissen handelt es sich um eine Momentaufnahme. Was aber beeinflusst beispielsweise, dass sich Einstellungen zu Geschlechterrollen oder Verhaltensweisen von Nachfolgegenerationen von ZuwanderInnen und der Mehrheitsbevölkerung schneller oder langsamer angleichen? Diese Frage beantworten Fleischmann und Lackner in einem Überblick über die Ergebnisse der internationalen TIES-Studie und weiterer internationaler Forschungsarbeiten, der im Auftrag von „okay.zusammen leben“ erstellt wurde:

Fleischmann, Fenella/Lackner, Theresa (2017): Geschlechterrollenwerte in der zweiten Einwanderergeneration in Europa. Ergebnisse der internationalen TIES-Studie (Download in der rechten Spalte).

Die aus der TIES-Studie generierten Erkenntnisse zum Thema Geschlechterrollen im Integrationsprozess wurden auf der Veranstaltung „Sag’ wie hältst du’s mit den Geschlechterrollen?“ am 17. Mai 2017 präsentiert.

 

Papier 6: Soziale Beziehungen, Diskriminierungserfahrungen und ihre Bedeutung im internationalen Kontext

Autor: Simon Burtscher-Mathis

In diesem Papier liegt ein Fokus auf den sozialen Beziehungen junger Erwachsener mit und ohne Migrationshintergrund in Vorarlberg. Untersucht werden u.a. die Intensität des Kontaktes mit der Familie, Freundschaftsnetzwerke und das Engagement in Vereinen. Betreffend die Freundeskreise ist eine zentrale Erkenntnis, dass die drei engsten FreundInnen in allen drei Untersuchungsgruppen (Personen ohne Migrationshintergrund, Personen mit Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien und Personen mit Eltern aus der Türkei) mehrheitlich aus derselben „Herkunftsgruppe“ stammen. Bei Personen mit Migrationshintergrund zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Bildungsniveau: Personen der zweiten Generation mit höhere Bildung haben häufiger einen durchmischten Freundeskreis als Personen mit niedriger Bildung. Das deutet darauf hin, dass sich je nach Bildungsniveau unterschiedliche Gelegenheiten bieten, um enge Freundschaften zu Personen außerhalb der eigenen Gruppe zu knüpfen. 

Der zweite Fokus des Papiers liegt auf Diskriminierungserfahrungen, die die Befragten selbst gemacht haben bzw. der Frage, wer aus Sicht der Befragten in Vorarlberg von Diskriminierung betroffen ist. Die zweite Generation mit Bezug zur Türkei berichtet deutlich häufiger als die zweite Generation mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien und als Personen ohne Migrationshintergrund, aufgrund ihres Hintergrunds oder ihrer Herkunft Feindseligkeiten oder Ungleichbehandlungen erlebt zu haben. Interessant ist auch, das alle drei Gruppen von Befragten ein sehr ähnliches Bild von der Betroffenheit unterschiedlicher Gruppen von Diskriminierung haben: Sie vermuten, dass Personen mit Bezug zur Türkei, Personen mit muslimischem Glauben und Personen mit dunkler Hautfarbe häufig von Diskriminierung betroffen sind; bei Personen mit Bezug zum ehemaligen Jugoslawien wird das weniger angenommen und bei Personen ohne Migrationshintergrund kaum.