Sprachkompetenztrainings klassik – Konzept und Basisinformation (2010-2013)

Viele Jugendliche nichtdeutscher Muttersprache, die sich heute an der Schnittstelle Schule/Arbeitsmarkt befinden, konnten aufgrund verschiedenster Einflussfaktoren weder in ihrer Erst- noch in ihrer Zweitsprache eine für ihre weitere Ausbildung ausreichende Sprachkompetenz erlangen. Dies betrifft weniger ihre alltagssprachlichen als ihre bildungssprachlichen Kompetenzen. Als Folge gelingt es ihnen auch nicht, in anderen arbeitsmarktrelevanten Bereichen ihre Potentiale zu entwickeln. Die von okay. zusammen leben angebotenen Sprachkompetenztrainings zielen deshalb auf die Förderung der bildungssprachlichen Kompetenzen und tragen zur Entwicklung eines ressourcen- und zielgruppenorientierten Fördermodells für diese Jugendlichen bei.

Im Kontext einer alternden Gesellschaft und dem gleichzeitig steigenden Bedarf an Fachkräften steigt das Bewusstsein für die Problemlage von Jugendlichen mit soziostrukturellen Benachteiligungen am Übergang Schule/Arbeitsmarkt. Besonders stark betroffen sind Jugendliche mit nichtdeutscher Muttersprache. Die Mehrheit der bisherigen Programme für diese Zielgruppe ist stark an den Defiziten der Jugendlichen bezüglich ihrer Qualifizierung orientiert und zielt auf deren Ausgleich ab. Dieser Zugang vernachlässigt die Förderung der Potentiale und Ressourcen der Jugendlichen. Sie sind oft über Jahre mit diesem defizitorientierten Wahrnehmungsmuster konfrontiert und verfügen dementsprechend über wenig Selbstvertrauen und Motivation. Lernen bedeutet für sie nicht, sich mit den eigenen Stärken, Interessen und Fragen auseinanderzusetzen, sondern vorwiegend mit ihren Schwächen konfrontiert zu werden und Defizite zu bearbeiten.

In den letzten Jahren werden in verschiedenen Institutionen an der Schnittstelle Schule/Arbeitsmarkt in Vorarlberg ressourcen- und zielgruppenorientierte Ansätze in der Qualifizierung dieser Jugendlichen erprobt. Dies betrifft vor allem die Bereiche berufsspezifische Anforderungen für den Arbeitsmarkt und soziale Kompetenz.Bei der Förderung der grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen stoßen diese Institutionen jedoch aufgrund der nicht ausreichenden „bildungssprachlichen“ Sprachkenntnisse der Jugendlichen und dem Mangel an entsprechenden Fördermodellen an Grenzen. Ziel der Sprachkompetenztrainings ist deshalb eine zielgruppen- und ressourcenorientierte Förderung der Lernkompetenz sowie der „Bildungssprache“ mit Bezug auf den beruflichen Alltag und die Lernanforderungen der Aus- und Weiterbildung.

 

Verknüpfung von Sprach- und Sozialkompetenz

Sprache umfasst viele Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung. In den Sprachkompetenztrainings wird deshalb bewusst auf die Verknüpfung von Sprach- und Sozialkompetenz geachtet. Ziel ist die wechselseitige Förderung von Selbsterfahrung (Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen), sozialer und kommunikativer Kompetenz.

 

Fördern des Sprachbewusstseins

Die Reflexion über die Verwendung der eigenen Sprache/Sprachen ist ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Mithilfe verschiedener Übungen werden sich die Jugendlichen ihrer mehrsprachigen Ressourcen und deren Einsatz im Alltag bewusst. Die Wertschätzung ihrer Mehrsprachigkeit trägt zudem zur Stärkung ihres Selbstwertgefühls bei.

Beispiel: Sprachenporträt

Sinn dieser Übung ist es, den Jugendlichen bewusst zu machen, wann sie welche Sprache verwenden, warum sie die jeweilige Sprache verwenden, und ob es vielleicht sinnvoll wäre, eine weitere Sprache in eben jenen Bereich aufzunehmen.

Die TeilnehmerInnen zeichnen hierfür sich selbst und ordnen ihre Sprachen in verschiedenen Farben einem oder mehreren Körperteilen zu. So wird z.B. der Kopf mit der Muttersprache versehen und oftmals auch mit der Zweitsprache. Das Herz ist in vielen Fällen der Ort der Muttersprache, denn jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass in emotionalen Situationen die Muttersprache einem am nächsten, am „Herzen“ liegt.

 

Sprachliche Kompetenz

Die Kompetenztrainings basieren auf DaF/DaZ-Methoden (Deutsch als Fremd-/Zweitsprache)und auf der Arbeit mit authentischen Fachtexten aller Art, die aus der Lebenswelt der Jugendlichen stammen. Dabei lernen die TeilnehmerInnen Techniken, um auf der Wort-, Satz- und Textebene Fachtexte knacken zu können. Sie können damit die Struktur von Fachtexten erkennen, wichtige Informationen heraussieben, Fachwörter im Kontext entschlüsseln, zwischen den Zeilen lesen, uvm.

Beispiel: Adjektive für den Beruf

Was für Eigenschaften können bestimmten Berufen zugeordnet werden? Die TeilnehmerInnen überlegen sich für jedes Berufskärtchen, welche Anforderungen die Beschäftigung mit sich bringen könnte und welche Eigenschaften ein Mitarbeiter im jeweiligen Bereich haben sollte. Durch diese Übung festigen und erweitern die Jugendlichen ihr Adjektiv-Repertoire. Zudem setzen sie sich gleichzeitig damit auseinander, was in diversen Berufen von ihnen erwartet wird.

 

Soziale Kompetenz

Bei Übungen der sozialen Kompetenz sind die Jugendlichen abwechselnd Akteure und Beobachter. Sie erlernen Handlungskompetenzen für variierende Situationen aus dem täglichen Leben, schlüpfen bewusst in fremde Rollen und reflektieren ihr Verhalten als Individuen und in der Gruppe.

Beispiel: Rollenspiel Restaurantszenen

Ziel dieser Übung ist der höfliche und korrekte Umgang eines Gastes mit dem Restaurantpersonal und weiteren Gästen sowie der Service des Kellners. Durch dieses Rollenspiel wird den TeilnehmerInnen nicht nur ein adäquates Benehmen im Restaurant vermittelt und das eigene Verhalten reflektiert, sondern auch die Höflichkeitsform wird in praxisbezogenen Situationen trainiert.

 

Mitgestaltung durch die Jugendlichen

Das Sprachkompetenztraining orientiert sich an den vorgeschlagenen Themen der Jugendlichen und motiviert sie, Initiative zu ergreifen und Übungseinheiten mitzugestalten. Durch die Einbindung der Jugendlichen in die Trainings werden sie mitverantwortlich für das erfolgreiche Gestalten der Übungseinheiten und geben dem/der SprachkompetenztrainerIn gleichzeitig einen Einblick in ihre Interessensgebiete.

Beispiel: Einbinden von Musikwünschen

Viele Jugendliche hören gerne Musik. Ein wichtiger Teil des Sprachkompetenztrainings besteht darin, dass die TeilnehmerInnen ihre musikalischen Interessen in das Training einbringen und daher ausgewählte Stücke sprachlich, melodisch oder inhaltlich bearbeitet werden. So entspricht z.B. die Kurzversion des Liedes „Musik um durch den Tag zu kommen“ von Samy Deluxe rhythmisch und inhaltlich der Lebenswelt der Jugendlichen und thematisiert die Werte von verschiedenen beruflichen Tätigkeiten und deren Entlohnung.

 

Durchgängige Sprachförderung und Wissenstransfer

Parallel zu den Sprachkompetenztrainings werden individuelle Konzepte zur durchgängigen Sprachförderung in der Institution entwickelt. Mit der durchgängigen Sprachförderung bleibt die Sprachförderung nicht auf die Gruppentrainings beschränkt, sondern wird auch in den beruflichen Alltag der Jugendlichen integriert. Dabei findet auch ein Wissenstransfer zur „Förderung von Sprachkompetenz“ in die Institution statt. Die durchgängige Sprachförderung dient der Anwendung und Festigung der in den Gruppentrainings erworbenen Kompetenzen und intensiviert die sprachliche Praxis. Die Jugendlichen werden in Zusammenarbeit mit den Institutionen an ihrem Arbeitsplatz in der jeweiligen Werkstätte vom/von der SprachkompetenztrainerIn sprachlich unterstützt sowie auf verschiedene Arbeitssituationen im Berufsleben vorbereitet.

Beispiel: Erstellen eines Arbeitsprotokolls

Hierbei wiederholen und versprachlichen die Jugendlichen nicht nur jeden einzelnen Arbeitsschritt, der für die Erstellung eines Werkstücks erforderlich ist, sondern auch die dafür benötigten Werkzeuge, Materialien und Sicherheitsvorkehrungen. So werden unter anderem z.B. verschiedene Unfallsituationen und deren Folgen besprochen und Strategien zur Vermeidung erarbeitet. Zudem werden die von den Jugendlichen erstellten Werkstücke und Arbeitsschritte in schriftlicher Form festgehalten, um eine Dokumentation ihrer Tätigkeiten gewährleisten zu können.

 

Ort, Akquise und Gruppeneinteilung

Die Sprachkompetenztrainings finden vor Ort in den Institutionen an der Schnittstelle Schule/Arbeitsmarkt statt. Die Einteilung in Gruppen mit vier bis sechs Jugendlichen erfolgt durch die SprachkompetenztrainerIn in Absprache mit der Einrichtung. Die Gruppen werden auf Basis der individuellen Leistungsniveaus und Förderbedürfnisse zusammengestellt. Dazu wird u.a. eine Sprachstandsfeststellung durchgeführt sowie die Lernbiographie berücksichtigt. Darauf aufbauend werden individuelle Förderkonzepte erstellt, die dann 15 bis 20 Wochen trainiert werden.

 

Entwicklung und Qualitätssicherung

Die Sprachkompetenztrainings wurden in einer zweijährigen Recherche- und Pilotphase entwickelt und erfolgreich erprobt. Um die Qualität der Sprachkompetenztrainings zu sichern und weiterzuentwickeln werden sie fortlaufend formativ evaluiert. Die Wirkung wird mittels Sprachstandsfeststellungen beobachtet und an die TeilnehmerInnen rückgemeldet.

 

Team 
Projektleitung: Dr. Simon Burtscher 
Fachexpertise: Dr. Susanne Steinböck-Matt 
SprachkompetenztrainerInnen: Birgit Bertsch, MA; Stefan Rainer, bacc.

 

Die Sprachkompetenztrainings werden durch folgende Institutionen gefördert: