Die Vorarlberger Freiheitlichen werden das Volksbegehren "Österreich
bleib frei" der Bundes-FPÖ unterstützen. Es ist wichtig, dass die
Länder der Europäischen Union die Pro- und Contras weiterer
Erweiterungen der EU gut abwägen und sie mit ihren Bürgern und
Bürgerinnen diskutieren. Es wäre wünschenswert, wenn diese wichtigen
Diskussionen der Sache wegen geführt würden. Das zu bewerten, ist
jedoch nicht Aufgabe und Anliegen unserer Stelle. Unser Anliegen wird
dann berührt, wenn im Rahmen dieser Debatte die Integration der in den
letzten Jahrzehnten nach Vorarlberg Zugewanderten aus der Türkei als
grundsätzlich gescheitert und aus kulturellen Gründen als nicht möglich
dargestellt wird.
Darüber, dass Integrationsdefizite
bestehen, herrscht heute allgemeiner Konsens. Es ist auch belegbar,
dass bspw. die Bildungsindik
atoren der türkei-stämmigen
Kinder und Jugendlichen in Österreich und Vorarlberg schlechter sind
als die einheimischer Kinder und auch die von Kindern anderer
Zuwanderergruppen. Der Sprung von einem ländlichen Gebiet in Anatolien
in den 60er- und 70er Jahren in die Industriegesellschaft Österreichs
ist ein größerer als der aus Ländern wie Kroatien oder Slowenien, und
es schaffen ihn nicht alle innerhalb einer Generation. Schon gar nicht,
wenn beide Seiten jahrzehntelang davon ausgehen, dass die Menschen als
"Gastarbeiter" kommen und wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren
werden.
Diese Annahme hat neben anderen Faktoren beiden
Seiten erspart, sich umfassend damit zu beschäftigen, was Integration
in unserem heutigen Verständnis erfordert und braucht. Heute ist es
weitestgehend Konsens, dass schlecht verlaufende Integrationsprozesse
volkswirtschaftlich ineffizient sind und den Zusammenhalt unserer
Gesellschaft gefährden, und wir diese daher nicht dem Zufall
überlassen, sondern aktiv gestalten sollten. Das war aber nicht immer
so.
Generalisierenden Aussagen, dass die Integration der
Zugewanderten aus der Türkei gescheitert sei und diese Menschen die
Integration nicht wollen, widersprechen allein die vielen Beispiele
türkeistämmiger Menschen, die in Vorarlberg täglich ihren beruflichen
Aufgaben nachgehen. Sie tun das zwar noch immer in großer Zahl als
ArbeiterInnen in schlechter bezahlten Positionen, aber es wächst die
Zahl von Angestellten und VerkäuferInnen aus dieser Gruppe, und auch in
höheren Berufssegmenten tauchen erste Nachkommen türkischer Migranten
auf. Auch die Höheren Schulen verzeichnen seit einigen Jahren steigende
Zahlen von SchülerInnen mit diesem Hintergrund.
Diesen
pauschalisierenden Aussagen widersprechen aber vor allem auch die
konkreten Integrationsaktivitäten vieler türkischer Vereine, die seit
mehreren Jahren zu verzeichnen sind. Rund ein Dutzend Vereine und
Institute organisieren für hunderte Kinder und Jugendliche Nachhilfe.
Ein türkischer Elternverein leistet seit Jahren Überzeugungsarbeit bei
den Eltern, wie wichtig Bildung für ihre Kinder ist, und die Türkische
Plattform hat vergangenen Herbst in ihren Vereinen aktiv
Bildungsprogramme wie die "Kindergartenvorsorge neu" beworben.
Pauschalisierende
Aussagen, dass türkei-stämmige Menschen die Integration nicht wollen,
ignorieren diese Entwicklungen und sehen die Ursachen für Probleme in
einem so komplexen Prozess, wie Integration das nun einmal darstellt,
alleine bei den Zugewanderten. Das unterhöhlt (insbesondere bei
Jugendlichen) die Motivation und Anstrengung, sich den
Herausforderungen zu stellen, anstatt zum Engagement beizutragen.
Was
den Zusammenhang von Gewaltbereitschaft männlicher Jugendlicher und
ethnische Herkunft betrifft, so registrieren auch wir aufmerksam
jüngste Studien aus Deutschland, aber auch Vorkommnisse in Vorarlberg.
In diesen Studien wird auf den Zusammenhang von sozialer Randstellung
(insbesondere schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt und
Arbeitslosigkeit), ethnischer Herkunft (insbesondere im Zusammenhang
mit bestimmten Männlichkeitsbildern) und kriminellem Verhalten bei
männlichen Jugendlichen hingewiesen. Dabei fallen aber nicht nur
türkei-stämmige Jugendliche auf, sondern auch andere Gruppen mit
Migrationshintergrund. Uns ist keine Studie bekannt, die für ganz
Europa die höchste Gewaltbereitschaft türkeistämmiger Jugendlicher
belegt.
Dieses Problem stellt eine große Herausforderung dar.
Von Politik und Gesellschaft fordert es, alles ihr mögliche für die
Chancengleichheit ihrer Mitglieder, Gleichbehandlung und die
Integrationskraft des Arbeitsmarktes zu tun. Von Entscheidungsträgern
und anerkannten Personen der Migrantengesellschaft erfordert es, sich
innerhalb ihrer Gemeinschaft klar für die Bedeutung von zentralen
Werten für unser Zusammenleben wie die Gleichheit von Mann und Frau,
Gewaltfreiheit und die Trennung von Politik und Religion einzusetzen.
Integration
braucht die gesellschaftliche Diskussion. Diese ist Voraussetzung und
Mittel des notwendigen Lernprozesses. Die Grenzen sehen wir dort, wo
der kulturellen und religiösen Herkunft von Menschen mit Missachtung
und Abwertung begegnet und Gruppen wider nachweisbarer Entwicklungen
pauschal der Wille zur Integration aberkannt wird.
Kontakt:
okay. zusammen leben/Projektstelle für Zuwanderung und Integration
Dr. Eva Grabherr
eva.grabherr@okay-line.at
Tel. 05572-398102