28.01.06: Zur Debatte über den Stand der Integration von Zugewanderten aus der Türkei

Die Vorarlberger Freiheitlichen werden das Volksbegehren "Österreich bleib frei" der Bundes-FPÖ unterstützen. Es ist wichtig, dass die Länder der Europäischen Union die Pro- und Contras weiterer Erweiterungen der EU gut abwägen und sie mit ihren Bürgern und Bürgerinnen diskutieren. Es wäre wünschenswert, wenn diese wichtigen Diskussionen der Sache wegen geführt würden. Das zu bewerten, ist jedoch nicht Aufgabe und Anliegen unserer Stelle. Unser Anliegen wird dann berührt, wenn im Rahmen dieser Debatte die Integration der in den letzten Jahrzehnten nach Vorarlberg Zugewanderten aus der Türkei als grundsätzlich gescheitert und aus kulturellen Gründen als nicht möglich dargestellt wird.

Darüber, dass Integrationsdefizite bestehen, herrscht heute allgemeiner Konsens. Es ist auch belegbar, dass bspw. die Bildungsindik

atoren der türkei-stämmigen Kinder und Jugendlichen in Österreich und Vorarlberg schlechter sind als die einheimischer Kinder und auch die von Kindern anderer Zuwanderergruppen. Der Sprung von einem ländlichen Gebiet in Anatolien in den 60er- und 70er Jahren in die Industriegesellschaft Österreichs ist ein größerer als der aus Ländern wie Kroatien oder Slowenien, und es schaffen ihn nicht alle innerhalb einer Generation. Schon gar nicht, wenn beide Seiten jahrzehntelang davon ausgehen, dass die Menschen als "Gastarbeiter" kommen und wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren werden.

Diese Annahme hat neben anderen Faktoren beiden Seiten erspart, sich umfassend damit zu beschäftigen, was Integration in unserem heutigen Verständnis erfordert und braucht. Heute ist es weitestgehend Konsens, dass schlecht verlaufende Integrationsprozesse volkswirtschaftlich ineffizient sind und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährden, und wir diese daher nicht dem Zufall überlassen, sondern aktiv gestalten sollten. Das war aber nicht immer so.

Generalisierenden Aussagen, dass die Integration der Zugewanderten aus der Türkei gescheitert sei und diese Menschen die Integration nicht wollen, widersprechen allein die vielen Beispiele türkeistämmiger Menschen, die in Vorarlberg täglich ihren beruflichen Aufgaben nachgehen. Sie tun das zwar noch immer in großer Zahl als ArbeiterInnen in schlechter bezahlten Positionen, aber es wächst die Zahl von Angestellten und VerkäuferInnen aus dieser Gruppe, und auch in höheren Berufssegmenten tauchen erste Nachkommen türkischer Migranten auf. Auch die Höheren Schulen verzeichnen seit einigen Jahren steigende Zahlen von SchülerInnen mit diesem Hintergrund.

Diesen pauschalisierenden Aussagen widersprechen aber vor allem auch die konkreten Integrationsaktivitäten vieler türkischer Vereine, die seit mehreren Jahren zu verzeichnen sind. Rund ein Dutzend Vereine und Institute organisieren für hunderte Kinder und Jugendliche Nachhilfe. Ein türkischer Elternverein leistet seit Jahren Überzeugungsarbeit bei den Eltern, wie wichtig Bildung für ihre Kinder ist, und die Türkische Plattform hat vergangenen Herbst in ihren Vereinen aktiv Bildungsprogramme wie die "Kindergartenvorsorge neu" beworben.

Pauschalisierende Aussagen, dass türkei-stämmige Menschen die Integration nicht wollen, ignorieren diese Entwicklungen und sehen die Ursachen für Probleme in einem so komplexen Prozess, wie Integration das nun einmal darstellt, alleine bei den Zugewanderten. Das unterhöhlt (insbesondere bei Jugendlichen) die Motivation und Anstrengung, sich den Herausforderungen zu stellen, anstatt zum Engagement beizutragen.

Was den Zusammenhang von Gewaltbereitschaft männlicher Jugendlicher und ethnische Herkunft betrifft, so registrieren auch wir aufmerksam jüngste Studien aus Deutschland, aber auch Vorkommnisse in Vorarlberg. In diesen Studien wird auf den Zusammenhang von sozialer Randstellung (insbesondere schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit), ethnischer Herkunft (insbesondere im Zusammenhang mit bestimmten Männlichkeitsbildern) und kriminellem Verhalten bei männlichen Jugendlichen hingewiesen. Dabei fallen aber nicht nur türkei-stämmige Jugendliche auf, sondern auch andere Gruppen mit Migrationshintergrund. Uns ist keine Studie bekannt, die für ganz Europa die höchste Gewaltbereitschaft türkeistämmiger Jugendlicher belegt.

Dieses Problem stellt eine große Herausforderung dar. Von Politik und Gesellschaft fordert es, alles ihr mögliche für die Chancengleichheit ihrer Mitglieder, Gleichbehandlung und die Integrationskraft des Arbeitsmarktes zu tun. Von Entscheidungsträgern und anerkannten Personen der Migrantengesellschaft erfordert es, sich innerhalb ihrer Gemeinschaft klar für die Bedeutung von zentralen Werten für unser Zusammenleben wie die Gleichheit von Mann und Frau, Gewaltfreiheit und die Trennung von Politik und Religion einzusetzen.

Integration braucht die gesellschaftliche Diskussion. Diese ist Voraussetzung und Mittel des notwendigen Lernprozesses. Die Grenzen sehen wir dort, wo der kulturellen und religiösen Herkunft von Menschen mit Missachtung und Abwertung begegnet und Gruppen wider nachweisbarer Entwicklungen pauschal der Wille zur Integration aberkannt wird.


Kontakt:
okay. zusammen leben/Projektstelle für Zuwanderung und Integration
Dr. Eva Grabherr
eva.grabherr@okay-line.at
Tel. 05572-398102